Nach zehn Tagen im Sacred Valley wird mir einmal mehr klar: Ich bin in Peru zum Longboarden, nicht um Touristen-Attraktionen zu besuchen. Die Strecke zum Machu Picchu ist für mich das grössere Highlight als die Inka-Stätte selbst.
Ein saftiges Grün soweit das Auge reicht. Der Rio Urubamba schlängelt sich dem Talboden entlang, weiter hinten im Tal sind Inka-Terrassen erkennbar. Ich sitze auf dem Balkon, streichle die beiden Miezekatzen, während die beiden Hunde auch etwas von der Zärtlichkeit abbekommen wollen und energisch an mir hochspringen. Ich geniesse die Ruhe und die Natur. Ein wahres Kontrastprogramm zur Metropole Arequipa, die von Vulkanen und Wüstengebiet umgeben ist. Dort habe ich die letzten zwei Wochen verbracht. Nun zehn Tage Sacred Valle, «heiliges Tal». Ich bin froh, nicht im touristischen Zentrum Cusco zu wohnen, sondern gut zwei Stunden entfernt in der Pampa zwischen den Dörfern Urubamba und Ollantaytambo. Natürlich wieder bei einem einheimischen Longboarder. Er heisst David und ist einer der insgesamt drei Longboarder in und um Cusco.
Die einzige Touri-Tour in 7 Wochen
Zugegeben, nach einem Tag Cusco habe ich schon genug von der Stadt, in der sich alles um Touristen-Ausflüge, Souvenirs überhaupt irgendwas mit Inkas dreht. Klar, die Hochkultur der Inka ist ein wesentlicher Bestandteil der Geschichte Perus. Die Bauten und Wege sind eindrücklich, unbestritten. Auch ich bin fasziniert von der kleinen Ruine oberhalb des Dörfchens Ollantaytambo. Und ich bin auch froh, im Tal zu bleiben, anstatt zurück ins Touri-Gewusel nach Cusco zu fahren. Irgendwie ist mir nicht nach Machu Picchu, doch zahlreiche Freunde (peruanische und europäische) legten mir ans Herz, diesen magischen Ort zu besuchen. Okay, sage ich mir, aber wenn, dann zu Fuss dahin, nicht mit dem Zug. Die viertätige Reise mit einer kleinen aber feinen Reisegruppe beinhaltet neben viel Trekking auch Action-Aktivitäten wie Mountainbiken und Zip-Lining. Am ersten Tag bringt uns ein Bus die geschwungene Strasse zur Abra Malaga hoch. Während die meisten im Bus am Handy herumtippen oder schlafen, platze ich beim Anblick der Strasse fast vor Aufregung. Das waren 40 Kilometer Roadporn! Ich wünschte, ich hätte mein Longboard dabei. Umso grösser war nun die Vorfreude, ebendiese Strasse fünf Tage später mit dem Rollbrett herunterzufahren – so der Plan. An diesem Tag fahren wir sie mit dem Bike herunter. Es ist neblig und regnerisch und wir sind pflutschnass. Bääh. Mit dem Longboard wäre die Abfahrt noch ungeniessbarer gewesen.
Barfuss auf dem Inka-Trail
Am nächsten Tag stehen 21 Kilometer zu Fuss auf dem Programm. Der Trail führt dem Rio Urubamba entlang, von Santa Maria nach Santa Teresa. Wir wandern teils auf Höhe des Flusses, teils knapp 1000 Meter oberhalb davon durch den Jungel. An verschiedenen Stationen machen wir eine Pause und Reiseleiter Gustavo erklärt uns, wie die Inkas früher Kartoffeln zubereiteten oder Handel betrieben. Er lässt uns Inka-Tequila (mit Schlange drin) probieren oder Coca-Blätter kauen, bis unsere Zungen und Gaumen taub sind. Immerhin war ich seit meinem Ausflug nach Huancayo an die Höhe gewohnt, während meine Wander-Gspänlis noch damit zu kämpfen haben. Einige Kilometer der Wanderung legen wir auf dem originalen Inka-Trail zurück. Der Rest des ursprünglichen Trails ist geschützt und nur einer kleinen Anzahl Wanderern pro Tag zugänglich, die Tickets dafür sind Monate im Voraus ausgebucht. Spontan entschliesse ich mich, meine Schuhe auszuziehen und barfuss durch den Wald und über Stock und Stein zu wandern. Um die Natur zu spüren, ebenso meinen Körper. Der Rest der Gruppe sieht mich verständnislos an. Ob meine Füsse schmerzen, fragen sie mich, während ihre Blasen in ihren Schuhen drücken. Ich hatte keine Beschwerden mit meinen Lauf-Schuhen. „Ich connecte mich mit Pachamama“, antworte ich mit einem zufriedenen Grinsen. An diesem Tag ist uns das Wetter wohlgesinnt, es ist der einzige trockene (und insgesamt beste) Tag der Wanderung.
Ich will weg hier
Dann der grosse Tag, an dem wir endlich eines der sieben Weltwunder mit eigenen Augen sehen würden. Morgens um halb fünf machen wir uns von Aguas Calientes aus auf den Weg. Zu Fuss, nicht mit einem Bus, der an diesem Tag knapp 3000 Leute hoch zum Eingang des Machu Picchu und zurück führen wird. Im Dunkeln und bei Regen erklimmen wir die gut 2000 teils kniehohen Treppenstufen zum Machu Picchu. Dort angekommen morgens um halb acht trifft mich der Schlag: Menschen, soweit das Auge reicht. Dafür ist vom Machu Picchu nichts zu sehen. Das Dorf sowie die dahinterliegenden ikonischen Bergspitzen, alles im Nebel. Die Ruinen der Inka-Häuser umzingelt von bunten Punkten, alles Menschen mit Regenpellerine.
Unser Guide Ulises erzählt irgendwas, ich höre nicht zu, es war mir alles egal. Ich wollte weg von den ganzen Menschen, weg von diesem kommerzialisierten Ort, der für mich alles andere als magisch war. Wehmütig denke ich an die Wanderung zurück, unsere kleine Gruppe alleine in der Natur, spannende Gespräche, Zeit zum Nachdenken, so gefällt es mir. Drum entscheide ich mich, beim Machu Picchu das „Sonnentor“ zu besuchen, auch wenn selbst dieses im dichten Nebel liegen wird. 45 Minuten Marsch im Regen, mein Körper in Bewegung, Schritt für Schritt raus aus den Leuten. Angekommen am Sonnentor setze ich mich hin und meditierte eine halbe Stunde. Es sind bloss zehn andere Leute da, die ebenfalls Ruhe suchen – und vielleicht wie ich vergebens auf etwas klarere Aussicht hoffen. Egal, hier finde ich meinen Frieden wieder. Und weiss, dass ich weder nach zu den Salzterrassen in Maras, noch zum Rainbow Mountain gehen würde. Diese Touren können mir gestohlen bleiben.
Der Weg ist das Ziel
Also bleibe ich im Sacred Valley und mache weitere Ausflüge: nach Ollantaytambo mit dem Fahrrad, nach Urubamba mit dem Combi-Bus – und nochmals zur Abra Malaga, dieses Mal mit dem Longboard. Wir hatten Glück mit dem Wetter, an diesem Tag bleibt es ausnahmsweise trocken. David und ich skaten nun die 40 Kilometer ins Tal herunter, hinter uns die Freundin Angelina im Taxi. Die Strasse ist im Vergleich zu Colca Canyon oder Virgen de Chapi bei Arequipa eher langsam. Insgesamt kommen nur zehn Fahrzeuge entgegen. Doch in Anbetracht der Tatsache, dass die Fahrer hier wie Kamikaze steuern, lässt mich umso vorsichtiger skaten. Bei unübersichtlichen Passagen bremse ich auf Schritttempo herunter und bleibe ganz rechts auf meiner Spur. Touristen-Busse unterwegs zum Machu Picchu brauchen bei engen Kurven auch Teile meiner Spur. Auch dank (oder wegen) David war die Abfahrt eher gemütlich. Während ich im letzten Monat oft und lange Strecken geskatet habe, liegt sein letztes Training sechs Monate zurück. Mehrmals legen wir eine Pause ein, damit sich seine Beine erholen können. Und nun habe ich sie geskatet, die Strasse, die mir so viele peruanische Longboarder empfohlen, doch nur die wenigsten selbst geskatet haben.
Urlaub vom Urlaub
Nun bin ich schon über einen Monat in Peru. Geplant war, dass ich weiter nach Bolivien reisen würde. Doch weder in Peru noch in Sozialen Medien fand ich Anzeichen oder Hinweise auf eine Crew in Bolivien, der ich mich hätte anschliessen können. Drum bleibe ich kurzerhand in Peru und gönne mir ein paar Tage „Urlaub vom Urlaub“ am Strand von Huanchaco. In diesem Surfer-Städchen wimmelt es von Hostels und Surf-Schulen. Die Einwohner behaupten gerne und stolz, dass hier bereits vor 1000 Jahren gesurft wurde. Nicht auf Surfboards, sondern auf den „Caballitos de Totora“. Diese ikonischen Fischerbote aus Schilf stehen noch heute im Einsatz: zum Fischen und als Dekoration an der Promenade für Touristen-Fotos. An einem Tag gehe ich mit der Crew aus der Nachbarstadt Trujillo aufs Longboard. Ansonsten chille ich am Strand und in Cafes des Surfer-Städtchens Huanchaco und schreibe meinen Artikel für die Sonntagszeitung. Und buche meinen Flug nach Arequipa, wo ich bei Freunden Weihnachten feiern werde. Feliz Navidad!