Klein, aber fein ist die Longboard-Community in Arequipa. Endlos und mit atemberaubender Aussicht sind die Strassen um diese Stadt. Zwischen Vulkanen und Kakteen fahren wir, das Team Badass und ich, ins Tal hinunter. Beschützt von Apu, dem schlafenden Mann, oder der Jungfrau von Chapi.
Die Inkas hielten das wüstenartige Klima um Arequipa als unfruchtbar und haben dieses Gebiet deshalb gemieden. Die Spanier haben bei ihrer Ankunft um 1540 bemerkt, dass das Klima um die Vulkane ähnlich ist wie in ihrer Heimat, und sich deshalb dort niedergelassen. Heute ist die Stadt aus der Kolonialzeit mit einer Million Einwohnern nach Lima die zweitgrösste Stadt Perus. Und meiner Meinung nach der ideale Ausgangspunkt für die allerbesten Longboard-Ausflüge in Peru.
Community und Crew
Im Vergleich zu Huancayo ist die Szene in Arequipa sehr übersichtlich. Momentan gibt es nur acht aktive Longboarder. Dazu kommt eine Handvoll Leute, die aus zeitlichen oder gesundheitlichen Gründen die Leidenschaft an den Nagel gehängt und das Brett im Keller verstaut hat. Die Crew dort nennt sich «Team Badass Arequipa», eine eingeschworene Gruppe, die international wenig vernetzt ist. Unter anderem, weil hier keine Weltcup-Rennen stattfinden. Für die 19- bis 23-jährigen Studenten liegt es zudem finanziell nicht drin, sich einen Leder-Anzug und die Reise nach Huancayo oder Huaraz leisten zu können, um dort an internationalen Rennen teilzunehmen. Umso mehr freuen sie sich über internationalen Besuch. «Mi casa es tu casa» gilt für alle, die mit einem Longboard im Gepäck anreisen, auch wenn man vorher erst ein paar Nachrichten auf Facebook ausgetauscht hat.
Facebook und Instagram sind die Plattformen, auf der sich die Szene weltweit austauscht, waghalsige Videos teilt und die neusten technischen Errungenschaften wie aerodynamische Helme oder Carbon-Bretter mit Präzisionsachsen kommentiert. Für die meisten peruanischen Longboarder ist auch dieses Equipment ausser Reichweite. Bretter sind selbstgebastelt, Slide Pucks aus Küchenbrettern geschnitten und die Handschuhe mit Ducktape geflickt, bis sie ganz auseinanderfallen. Der Anblick meines Bretts, ein Deck der Schweizer Marke Rocket und Präzisionsachsen der Marke Don’t Trip, sorgt bei den meisten Jungs dort für glänzende Augen. Eine Probefahrt ist für sie wohl vergleichbar mit einer Fahrt in einem Ferrari.
Mamita Maria kocht für alle
Vor den Ausflügen trifft sich die Crew meist bei Victor zu Hause, wo ich auch die ersten Tage in Arequipa verbringe. Seine Mutter Maria kocht für alle; Lomo Saltado, Pan con Chicharron, Papa a la Huancaina, Pollo con Arroz oder sonst ein währschaftes Essen mit Fleisch. Für mich ausnahmsweise ohne Fleisch. Vegetarier (ich zähle mich zu den «Flexitariern») haben ein schwieriges Leben in Peru, auch wenn langsam ein Umdenken stattfindet. Mehrmals bekomme ich Sätze zu hören wie: «Ich weiss, dass so viel Fleischkonsum nicht gut ist für die Umwelt, deshalb versuche ich nun auch, weniger Fleisch zu essen.» Nach dem Essen herzt Maria jeden einzelnen von uns, dazu der obligatorische Kuss auf die linke Wange. Sowieso, die Begrüssung und Verabschiedung sind immer sehr herzlich, erst recht innerhalb der Familie. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich so oft junge Männer ihre Mütter umarmen und küssen gesehen habe. Ich gehe davon aus, dass es sich bei den Frauen ähnlich verhält. Allerdings kann ich das nicht einschätzen, da ich in Peru praktisch nur mit Männern unterwegs war, ausgenommen die ersten paar Tage in Lima.
Aussichtsreiche Skatespots
Wie in Huancayo hat auch in Arequipa der Glaube einen hohen Stellenwert bei den Skatern, auch wenn sie nicht regelmässig in die Kirche gehen. Vor jeder Skatession halten die Jungs kurz inne, bei jedem Ort auf eine andere Weise. Beim Aussichtspunkt «Mirador de los Andes» auf 4910 müm setzen wir uns zwischen die zahlreichen Steinmännchen und meditieren eine Weile, um uns mit dem Körper und der Natur zu verbinden. Schliesslich haben wir eine 30km lange Abfahrt in den Colca Canyon vor uns – eine der besten Abfahrten meines Lebens. Touristen nehmen die vierstündige Autofahrt dorthin auf sich, um von Chivay aus bei einer mehrtägige Wanderung die Aussicht auf die Terrassen und die Kondore zu geniessen. Wir nehmen die Fahrt auf uns, um 25 Minuten «Stoke», die ultimative Zufriedenheit auf dem Longboard zu erleben.
Nach nur einer Abfahrt sind Beine und Kopf (die Luft ist sehr dünn da oben) ready für den Heimweg. Am nächsten Tag geht’s nach Yura, einem Dörfchen eine Stunde nordwestlich von Arequipa. Dort treffen wir auf Apu, den schlafenden Mann, und bedanken uns innerlich bei ihm für seinen Schutz. Nein, er ist kein Mensch, sondern eine Felswand, die wie ein schlafendes Gesicht aussieht. Apu wacht über die grüne Ackerfläche am Boden des sonst furztrockenen Tals. Und über uns Skater, wie wir an diesem heissen Nachmittag unermüdlich die beiden Kurven runterfahren und wieder hochlaufen. An diesem Tag steht das Training und die Technik im Mittelpunkt.
Steinmännchen beim «Mirador de los Andes» auf 4910 müm.
Eine lange und sehr anspruchsvolle Abfahrt führt zum Pilgerort Chapi. Im Talkessel befinden sich einzig ein paar Imbissbuden sowie eine der grössten Kirchen Perus. An gewissen Kirchenfesten zu Ehren der Jungfrau von Chapi pilgern bis zu 100 000 Gläubige ins Tal. Auch an einem normalen Sonntag ist das Verkehrsaufkommen in diese Sackgasse zu gross zum Skaten. Wir machen uns an einem Samstag auf den Weg ins Tal, mit einem Taxi, das wir an diesem Nachmittag für uns gemietet haben. Umgerechnet 30 Franken kostet der Spass. Auf der Passhöhe zünden die beiden Skater Mundi und Sergio drei Kerzen an, eine für jeden von uns, damit uns die Jungfrau bei der Abfahrt beschützt. Die zehn Kilometer lange Strecke ist steil und technisch, ich muss den Kopf voll bei der Sache haben. Nach drei Abfahrten sind wir nudelfertig. Umso mehr geniessen wir die Abfahrt in Pocsi, dem Homespot vom Team Badass. Mehrmals skaten wir diese Strecke bei Sonnenuntergang, mit Aussicht auf die Vulkane Misti, Pichu Pichu und Chachani, einem der leichtesten 6000er-Wanderungen der Welt. Auf dieser Strasse mit langen Kurven machen die «Pack-Runs» besonders Spass. Selbst bei 80km/h können wir einander buchstäblich am Arsch kleben oder sicher überholen.
Die steile Strasse durchs Niemandsland führt zum Pilgerort «Virgen de Chapi».
Mit dem Bus oder bei Nacht
Nicht immer können die jungen Skater einen Kumpel als Chaffeur organisieren oder sich ein Taxi leisten. Deshalb nehmen Victor und seine Freunde meistens einen öffentlichen Bus, der sie für 3 Soles (ca. 1 Franken) Richtung Spot holpert. Die letzten Kilometer legen sie per Anhalter, mit dem Longboard oder in steilen Stücken auch zu Fuss zurück. Die ganz angefressenen Skater Marcelo und Sergio treffen sich oft auch nachts zum Skaten, wenn die Strassen in der Stadt autofrei sind. Den Wecker stellen sie auf vier Uhr morgens, um ihrer Leidenschaft nachzugehen. An der Uni sind sie dann vielleicht nicht ganz so aufnahmefähig, dafür happy. Auch mein Rhythmus ist während der Reise etwas verschoben wegen des Longboarden. Da ich tagsüber meist auf vier Rollen unterwegs bin, sehe ich das Stadtzentrum meist bei Nacht. So passiert in Lima, Huancayo, Cusco und eben auch in Arequipa. Da ich nicht jeden Tag skaten kann, sondern ab und zu auch remote arbeite (als Digitale Nomadin sozusagen), habe ich es auch tagsüber noch zur Plaza de Armas und zur Kathedrale geschafft.