Ein Van, beladen mit fünf Boards und einer Abenteurerin am Steuer. Nach vier Wochen und ca. 6000 Kilometern im Van (und etwa gleich vielen auf dem Skateboard) war ich wieder zurück im grauen Schweizer Herbst. Zur Freude von meinem Arbeitgeber (und mir) blieb ich unverletzt. Zumindest fast.
Keine physischen Meetings oder Arbeitseinsätze während 28 Tagen. Skatefreunde in den verschiedensten Ecken zwischen den Schweizer Alpen und der Westküste Portugals. Das Abenteuer konnte losgehen. Meine Reise führte quer durch Frankreich in die Pyrenäen und weiter ins Baskenland nach Biarritz und Bayonne. Dort klapperte die Strände rund um San Sebastian, Laga und andere baskische Küstenstädtchen in Spanien ab. Nach einem Halt in Durango ging es direkt nach Oliveira do Hospital in Portugal an einen Skate-Event. Nach einem Zwischenstopp im Spital in Coimbra und am Flughafen in Lissabon erreichte ich endlich in Ericeira mein Surfhouse des Vertrauens. Die Woche verbrachte ich mit Surf-Ausflügen nach Peniche (Wetter und Swell in Ericeira waren schlecht), mit viel Essen und auch einigen Calls. Ich hatte die Arbeit in Form meines Laptops mitgenommen. In der Hoffnung auf bessere Wellen fuhr ich zurück ins Baskenland nach Zarautz, Biarritz und Capbreton. Das Highlight war ein weiteres Wochenende in den Pyrenäen. Die letzten paar Tage des Trips verweilte ich in Toulouse und auf dem Heimweg legte ich einen Zwischenstopp in Lyon ein. So viel zu meiner Route. Und nun zu den Details…
Nächtlicher Überfall und ein Skate-Crash
Die erste Nacht verbrachte ich im Van irgendwo auf einem Rastplatz zwischen Montpellier und Toulouse. Gut sichtbar, im Lichtschein der Toilettenanlage und mit Zentralverriegelung fiel ich nach neun Stunden Autofahrt in den Schlaf. Geweckt wurde ich von einem heftigen Rütteln. «Hilfe, jemand versucht mich auszurauben», waren meine ersten Gedanken im Halbschlaf. Erschrocken riss ich die Vorhänge auf und sah, wie ein edler schwarzer Mercedes nochmals ausholt, um beim zweiten Versuch aus dem Parkplatz hinter mir herauszufahren. Stinkfrech hat die Person Fahrerflucht begangen, nachdem sie meine Stossstange getüpft hat. Leider konnte ich mir das Nummernschild nicht merken. Naja, ich hatte schon vorher einige grobe Kratzer am Van. Zum Glück blieb es bei diesem einen Zwischenfall und ich kann an dieser Stelle keine Räubergeschichte von einem Überfall erzählen.
Ebenfalls glimpflich davongekommen war ich in Durango (Spanien), wo ich mit Skate-Freunden am Feierabend noch eine Strasse runterdüste. Die Strasse sicherten wir, indem jeweils jemand von uns mit einem Funkgerät im Auto vorfuhr und durchgab, wenn ein Auto entgegenkam. Beim zweiten Run erschrak ich über ein Loch im Asphalt, verlor das Gleichgewicht und landete nach einem spektakulären Breakdance-Move im Strassengraben (siehe Video ab 1:40). Völlig verdattert stand ich auf und merkte, dass zwar mein Shirt komplett zerstört war, ich selbst aber ohne den kleinsten Kratzer davongekommen war. Ohne Schoner, Rückenpanzer und Helm hätte ich wohl eine Kombination von Prellungen, Schürfungen und gebrochenen Knochen gehabt. Nochmals Glück gehabt.
Weniger Glück hatte eine Skate-Freundin aus Chile ein paar Tage später am Alva Skate Fest in Portugal. Sie rutschte in einer Kurve doof und völlig unspektakulär raus und zog sich einen offenen Knöchelbruch zu, der operiert werden musste. Da ich wusste, wie beschissen es ist, ein einem fremden Land, alleine und ohne persönliche Sachen auf der Notaufnahme in einem Spital zu landen, begleitete ich sie dorthin. Es war eine Geduldsprobe vom feinsten für mich – erst nach drei Stunden warten konnte ich wieder zu ihr. Ich übte mich in Dankbarkeit, dass ich im Wartesaal und nicht im Röntgenzimmer der Notaufnahme sass. Einen kurzen Arztbesuch musste für mich auf der Reise doch noch sein: Ein Sandkorn in meinem Auge führte zu einer schmerzhaften Entzündung und musste von einer Ärztin entfernt werden. So lief ich einen Tag lang als Piratin, mit abgeklebtem Auge durch die Gegend. Nach drei weiteren Schonungs-Tagen durfte ich endlich wieder ins Wasser. Um bald von der nächsten Welle herumgespühlt zu werden. Yey.
Bad Surf, good Skate
Mein Plan war ursprünglich, täglich zweimal surfen zu gehen, Surf-Lessons zu nehmen und am Ende des Trips meine ersten Barrels zu surfen. Ok, das war etwas übertrieben, aber ich war motiviert (und nach zwei Wochen Herumgepaddel auch trainiert genug), um beim Surfen aufs nächste Level zu kommen. Leider waren in Ericeira, dem Surf-Mekka schlechthin, während mehreren Tagen die Wellen wortwörtlich vom Winde verweht und ein Sturm brauste über die Küste. Dazu kam mein entzündetes Auge. Wir vertrieben uns im Surfhouse, wo ich noch Freunde vom letzten Jahr kannte und neue laufend dazukamen, die Zeit anderweitig: Movie Night (ich hatte zum ersten Mal «Titanic» gesehen), Arbeiten (etwa die Hälfte der Gäste waren als digitale Nomaden tagsüber am Arbeiten), Workouts und Stretching im Yoga Raum, ausgedehntes Geköche und Abendessen im Haus oder auswärts und ein täglicher Apéro ab spätestens 17 Uhr, idealerweise mit Sonnenuntergang. Der Ausflug an die Westküste Portugals lohnte sich nur schon wegen der atemberaubenden Sonnenuntergänge. Wenn ich richtig gezählt hatte, war ich in den vier Wochen dennoch etwa zwölfmal im Wasser. Leider waren meine Surf-Skills umgekehrt proportional zum Swell: Gegen Ende des Trips, als mein Rücken, Take-Off und Timing besser wurden, war entweder Flaute oder wieder zu viel Wind.
Alles halb so wild, ich hatte ja neben dem Surfboard noch vier Skateboards dabei: das Downhill-Skateboard, das Dancing-Longboard, das Surfskate und das Street Skate. Ich hatte unterwegs zahlreiche Pumptracks und Skateparks abgecheckt und war mit dem Longbaord elegant der Promenade entlang geskatet. Nicht selten hatte ich so unverhofft Bekanntschaften geschlossen – wenn auch nur für eine kurze gemeinsame Skate-Session. In Ericeira bot ich spontan einen Skate-Workshop an, bei dem wir am Ende zu sechst am Dancen und Surfskaten waren. Bis uns die örtliche Polizei vom öffentlichen Parkplatz vertrieben hat. Ich weiss, Parkplätze sind zum Parken da, nicht zum Skaten. Also ging’s weiter in den örtlichen Skatepark. Wo ich mal wieder die einzige Frau war und meine Anfänger-Tricks übte, während neben mir zehnjährige Kids die krassesten Tricks raushauten. Egal, skateboarding makes me happy.
Roadporn in den Pyrenäen
Am happiesten macht’s mich, wenn ich mit dem Skateboard eine gewundene Bergstrasse herunterfahren kann. Die Highlights des Trips waren eindeutig die Weekend-Ausflüge mit der Downhill Community. Schon vor meinem Trip wusste ich, dass in Portugal ein Downhill-Event stattfinden würde, das Alva Skate Fest. Gesperrte Strasse, Heuballen, Ambulanz, Camping und Skater:innen aus ganz Europa. Obwohl, SkaterINNEN waren unter den 70 Teilnehmenden nur gerade vier dabei. Immerhin. Es war die anspruchsvollste Strasse, die ich je an einem Event gefahren bin. Schnelle Rechtskurven machen mir zu schaffen und die Strecke hatte gleich drei davon. Gegen Ende des Events hatten wir uns angefreundet, die Kurven und ich, und ich konnte die Abfahrten so richtig geniessen.
Ebenfalls ein Genuss waren die endlosen Strassen in den Pyrenäen. Nach den Anden stand diese Region weit oben auf meiner Skate-Spot-Bucket-List. Da ich an einem Skate-Event in Slovenien vorletzten Sommer einige von der Community in Toulouse kennengelernt hatte, konnte ich mich dieser Crew anschliessen. Am ersten Wochenende waren wir ganze 40 Leute, ein kleiner inoffizieller Event, bei dem alle mit Funkgerät geskatet sind. Funk-Kanal 4:20 (Der Name war bei vielen Skatern durchaus Programm). Am zweiten Pyrenäen-Wochenende, auf dem Rückweg von Portugal, waren wir eine überschaubare Gruppe von 10 Skatern, die die übersichtliche Sackgasse nach Luz Ardiden nochmals und nochmals runtergedüst sind. Fazit: Atemberaubende Bergkulisse, arschgeile Strassen, tolle Skate-Crew – ich komme wieder! Wenn es bloss nicht so weit weg wäre…
Endlose Stunden auf der Autobahn
Ich hatte mich auf lange, trostlose Fahrten quer durch Frankreich, Spanien und Portugal eingestellt. Deshalb hatte ich mich nicht nur mental darauf vorbereitet. In der Brocki hatte ich für einen Spott-Preis einige CDs aus meinen Teenage-Jahren ergattert, Genere Pop und CH-Hip Hop. Denn mein Van hatte nebst Radio nur ein CD Laufwerk, ich aber bis dahin keine CDs dazu. So sang ich unterwegs in Frankreich lauthals Pink, Lady Gaga, Stress, Bligg und Breitbild mit, was mich in Erinnerungen an erste Konzerte und Festivals schwelgen liess (Bligg, Stress und Breitbild habe ich JE etwa 15 mal live gesehen, no joke). Doch schon an der Grenze zu Spanien hatte ich die CDs durch und die Musik hing mir zu den Ohren raus. Also hörte ich Radio. Oder besser, ich zappte Radio. Doch es war aussichtslos. Ich weiss nicht, wer sich lieber beim Reden zuhört, die Spanier, Portugiesen oder Franzosen. Fest steht: So viel sie die im Radio labern, bleibt nicht viel Zeit für Musik.
Von den zehn Radiosendern, durch die ich mich jeweils zappen konnte, wurde auf neun gelabert und auf einem lief schlechte Musik. Zwischendurch versuchte ich übermotiviert, mein Französisch oder mein spärliches Spanisch mit einer Hörverständnis-Übung aufzufrischen. Doch spätestens nach einer Viertelstunde Gelaber hatte ich Kopfschmerzen und zog den Telefonjoker. Danke an dieser Stelle an die zahlreichen Gesprächspartner:innen, die mich per Telefon auf einem Streckenabschnitt begleiteten – per Kopfhörer versteht sich. Ich hätte mich nur nicht beim Telefon-Abnehmen erwischen lassen sollen. Die spanische Polizei hat mich just in dem Moment überholt, mich bei der nächsten Raststätte rausgewunken und mir zum teuersten Anruf des Lebens verholfen: 100 Euro Busse. Autsch. Zum Vergleich: Für Diesel hatte ich auf dem gesamten Trip knapp 900 Euro, für Maut 200 Euro ausgegeben.
Nach dem Trip ist vor dem Trip
Bei dem ganzen Autogefahre, Wellenbeobachten, vor-der-Notaufnahme-warten und Abendspaziergängen hatte ich Zeit, meine Gedanken zu sortieren und mir über einige Dinge klar zu werden. Hier ein paar (nicht ganz so neue) Erkenntnisse:
- Der Van-Ausbau hat sich bewährt, besonders dankbar war ich für die Boardbatterie und den Kühlschrank. Den Kocher hingegen hatte ich kein einziges Mal benutzt. Entweder hatte ich im Surfhouse gekocht, beim Campen mit anderen Leuten den Kocher geteilt, einen frischen Salat zubereitet oder einfach auswärts gegessen.
- Chillen fällt mir schwer. Ein Buch lesen? Am Strand liegen? Gemütlich einen Tee trinken? Gute Idee, aber nicht länger als eine halbe Stunde. Oder besser: Erst, nachdem ich was getan habe. Surfen, Skaten, zum nächsten Aussichtspunkt auf den Hügel rennen.
- Gleichzeitig bin ich mir bewusst: Ein bisschen mehr Sein und weniger Tun würde mir durchaus guttun. Ich hab’s immer wieder probiert. Am besten gelang es mir beim meditativen Beobachten von Sonnenauf- oder -untergängen, Wellen, Feuer oder Sternen.
- Und last but not least: Ich stehe erst am Anfang meines Vagabunden-Lebens. Dieser Mix zwischen Abenteuer und Remote Work, alleine und in Gesellschaft sein, unterwegs und gleichzeitig «zu Hause» zu sein ist genau mein Ding. Ich glaube, im April habe ich wieder einen Monat Zeit zum Vagabundieren. Frag sich nur: Nochmals dieselbe coole Route oder eine andere Richtung einschlagen?