Endlich: Longboarden in den Anden bei Huancayo

Longboarden in den Anden Perus

Raus aus der Grossstadt Lima, rein ins Vergnügen. Die Reise geht weiter nach Huancayo, einem Hotspot der peruanischen Longboard-Szene. In der Umgebung der Kleinstadt finden sich nicht nur zahlreiche Strecken internationaler Rennen, sondern auch Kunsthandwerk und Naturschauplätze.

Combi Bus Peru
Beim Skate Spot Pacchar geht’s im oder hinter dem öffentlichen Combi-Bus die Strecke hoch.
Torre Torre Huancayo
«Torre Torre» heissen die roten Kamine ausserhalb von Huancayo, die der Wind und der Regen über die Jahre geschliffen hat.

Nach einer crazy Woche in Lima – hier geht’s zum Blog – geht’s ab in die Berge. Huancayo liegt ungefähr eine Flugstunde oder acht Stunden im Bus von Lima entfernt. Ich habe mich für den Bus durch die Nacht entschieden, ist günstig und im Vergleich zum Flixbus ziemlich feudal und mit viel Beinfreiheit. Man hatte mich gewarnt vor den vielen Kurven und den über 4000 Höhenmetern, die den meisten Touristen und Küstenbewohnern zu schaffen machen. Blabla, denke ich mir, schliesslich kann ich normalerweise rückwärts zuhinterst im Bus sitzen und ein Buch lesen, ohne dass mir schwindlig wird. Mein Fazit nach acht Stunden Busfahrt durch die Nacht: Nie wieder! Die Fahrt und die Höhe – Huancayo liegt auf 3260 müm – machen mir noch den ganzen ersten Tag zu schaffen. Ein Kater ist harmlos dagegen.

Parque Identidad Huancayo
Steinige Wege im Parque de Identidad in Huancayo.

Zurück zum Business: Ich bin hier zum Longboarden. Bereits im Voraus bin ich in Kontakt mit dem Kopf der einheimischen Crew. Fer, wie Fernando Rodriquez von allen genannt wird, holt mich am Busterminal ab. Per Taxi geht’s zu seiner Familie nach Hause, wo permanent der Fernseher läuft, auch wenn niemand zusieht. Bei so viel Trash-News und Drama-Telenovelas ist die Verblödung der Gesellschaft nicht mehr weit. Langsam aber sicher akklimatisiert geht’s am Abend in die Stadt, natürlich mit dem Longboard. Noch nie habe ich eine solch hohe Dichte an Bodenwellen gesehen. Dazu kommt, dass die Strassen in der Stadt in einem extrem schäbigen Zustand sind. In der Schweiz wäre ich niemals darauf gekommen, mit dem Longboard auf einer so löchrigen, holprigen Strasse zu fahren. Spätestens nach dem dritten abendlichen Ausflug ins Stadtzentrum von Huancayo holperte ich den Locals hinterher, ohne mit der Wimper zu zucken.

Normaler Wahnsinn im Taxi die Renn-Strecke hoch: Fer, Mario und Wilder sind zum Posen aufgelegt.
Coca Blätter für Pachamama
Ein kleines Ritual vor der Skate-Session: Einige Coca-Blätter kauen und Pachamama um Schutz bitten.

Pachamama beschützt die Skater

Endlich geht es los, wir sind auf dem Weg «in die Anden», hoch in die Berge. Ein lang ersehnter Traum geht an diesem Tag für mich in Erfüllung. Ich platze fast vor Vorfreude, als wir im Auto Richtung Chupuro und dann die kurvige Strasse dem Himmel entgegenfahren. An diesem Nachmittag haben wir für umgerechnet 30 Franken ein Taxi für uns gechartert. Bei der Anfahrt legt Fer wert darauf, bei einem Kiosk anzuhalten und einige Coca-Blätter zu kaufen. Angekommen am Startpunkt der Strasse verteilt er die Blätter unter den Longboardern. «Das ist ein kleines Ritual, um Pachamama um Schutz zu bitten», erklärt der 23-Jährige, bevor er drei Coca-Blätter nimmt, langsam zerkaut und dann ausspuckt. An der Pass-Strasse oberhalb von Chupuro, ungefähr eine Autostunde von Huancayo entfernt, treffen sich an diesem Sonntagnachmittag circa 15 Longboarder, darunter lediglich eine Frau – ich. Pachamama hat mir an diesem Nachmittag wohl eine Armee Schutzengel mitgegeben. Als ich in einer schnellen Kurve die Bodenhaftung verliere, schlittere ich haargenau zwischen zwei Metallpfosten durch, die jeweils nur einen Meter Abstand voneinander haben. Ich kam mit einer kleinen Schürfung und einem Schock davon.

Slide Pucks Do it Yourself
Fer klebt Velcro auf die Nilon-Platten, um sie danach als Slide-Pucks zu benutzen.
Longboarden in den Anden
Endlose Weite in den Anden. Immer wieder grossartig, an welche Orte mich meine Leidenschaft Longboarden bringt.

Unbeirrt dem Traum folgen

Auf einem Teil dieser Strasse haben bereits internationale Rennen stattgefunden, im Juli dieses Jahres nationale Meisterschaften. Die Strasse führt auf knapp 4300 Meter über Meer, rechts und links führen Inkapfade durch die Weite. Bei Longboard-Veranstaltungen ist meist auch eine Schamanin dabei, die mit allen Teilnehmenden ein Ritual durchführt. Nur was für Abergläubige? Mag sein, für Fer ist es mehr. Einmal habe er kein Ritual durchgeführt, Pachamama nicht um Schutz gebeten. Just an diesem Tag ist er bei 70km/h seinem besten Freund auf dem Longboard zu nahegekommen, verkeilt und durch die Luft geflogen. Beim Sturz hat er sich die Schultern, zwei Rippen und das Becken gebrochen. Dieser Unfall ist nun zwei Jahre her. Während der Rehabilitation hat er sich auf die Organisation von Rennen konzentriert, um indirekt seiner Leidenschaft nachzugehen. Nun ist er wieder in gesund, hat seit kurzem den Master-Abschluss in der Tasche und viel Zeit zum Trainieren. Wie viele andere peruanische Skater hegt er den Traum einer Karriere auf dem Longboard. Dass sich mit diesem Sport keinen Lebensunterhalt verdienen lässt, ist kein Geheimnis, dafür ist die Sportart zu klein, zu wenig professionell. Vielmehr geht es ihm darum, an der ganzen Weltcup-Tournee teilnehmen zu können – oder wenigstens bei allen Tourstops in Südamerika, um so Champion des eigenen Kontinents zu werden.

Ein Traum wird wahr: Longboarden in den Anden oberhalb von Chupuro.

Lokales Kunsthandwerk in Huancayo

Die Verbundenheit mit der einheimischen Tradition zeigt sich auch bei den Siegestrophäen der Rennen um Huancayo. So gab es für die Sieger einen «Mato Burilado», ein mit Schnitzereien verzierter Flaschenkürbis. Diese einheimischen Kunstwerke findet man vor allem auf dem Handwerksmarkt sowie bei verschiedenen touristischen Stätten. Einer, der das Kunsthandwerk versteht und auch lange Jahre gelehrt hat, ist Alejandro Hurtado, ein guter Freund von Fer. Vor der Skate-Session in Cochas Grande beo Pacchar, einer anderen Weltcup-Strecke, schauen wir in seiner Werkstatt vorbei. Alejandro schnitzt geschickt einen Rudolph und ein paar Schneeflocken in einen Kürbis – passend zur Adventszeit. Das sind einfache Sujets, dafür braucht er nur eine halbe Stunde. Für die Fussball-grossen Kürbisse, die beispielsweise mit zahlreichen Tieren geschmückt sind, braucht er drei bis vier Tage. Leider werde dieses Handwerk nicht mehr so geschätzt wie früher, erklärt mir Fer, die billigen und einfachen Mato Burilados für Touristen würden den Markt überfluten.

Alejandro ist einer der letzten, der vom Kunsthandwerk «Mate Burilado» lebt.

Neben dem lokalen Kundsthandwerk gibt es in Huancayo noch andere sehenswürdige Schauplätze, abgesehen von endlosen Strassen über Passhöhen in den Anden. Beispielsweise der Parque de la Identitad, dessen Wege und Skulpturen aus zahllosen kleinen Steinen bestehen, die zu kunstvollen Mustern kombiniert werden. Noch schöner ist sind die Gesteinsformationen Torre Torre, rund eineinhalt Kilometer ausserhalb von Huancayo. Wind und Regen haben diese Türme aus rötlichem Sandstein geformt, die sogar vom Stadtzentrum aus zu erkennen sind.

Mate Burilado
Die spezielle Kürbis-Sorte wird getrocknet, bevor Alejandro mit viel Geduld verschiedenste Muster in die Oberfläche ritzt.

Kunsthandwerk der Longbaorder

Weniger überflutet ist der Markt mit Longboard-Zubehör. Der einzige Skate-Shop mit Longboard-Artikeln in Peru, der Chaman Longboard Store in Lima, hat im 2016 dicht gemacht. Hinzu kommt, dass seit diesem Herbst die Regierung in der Krise steckt und der Kongress auf Eis gelegt wurde. Deshalb ist momentan auch der private Import von Longboard-Produkten schwierig. Eine Geschichte, die ich in jeder Stadt von neuem zu hören bekomme. Die meisten einheimischen Skater haben ihre Longboards und Schutzausrüstung von ausländischen Skatern, die nach einem Wettkampf einiges von ihrem Material hier gelassen haben. Für die Slide-Handschuhe, einem Must-Have für diese Sportart, setzen Fer und seine Freunde ihre Kreativität ein. Ein paar Garten-Hanschuhe, 2 Inches Nilon-Rohr, Velcro (Klettverschluss), etwas Sofort-Kleber und eine Bastel-Stunde später sind die Handschuhe inklusive Slide-Pucks fertig. Und die Skater bereit für das nächste Training in den Anden. Ob im Herbst 2020 wieder Weltcup-Rennen in und um Huancayo stattfindet, entscheidet die Dachorganisation IDF im Januar 2020.

In einer Werkstatt werden die Nilon-Rohre in die gewünschte Grösse geschnitten. Auf diese Weise kostet ein Puck nur ca. 5 Franken. Normalerweise kosten sie schnell mal 15 Franken.

Übrigens, diesen Text habe ich im Combi-Bus auf der holprigen Strasse von Cusco nach Urubamba verfasst. Nach zwei Wochen in den Anden bin ich bestens akklimatisiert.

Chupuro
Die Rennstrecke von Chupuro mit der Kleinstadt Huancayo links im Hintergrund.