…dann muss ich gehen. Und so ging ich. Unterschiedlicher hätten die beiden Berge nicht sein können. Warum eine Nacht auf dem Üetliberg schauriger war als eine Nacht auf dem Flüeler Schwarzhorn auf 2800müm. Und was ich dabei gelernt habe.
Nein, ich bin keine Team-Sportlerin. Ich mag es, meine eigene Gegnerin zu sein. Mag es, mir eigene Challenges zu geben. Deshalb liebe ich das Downhill Skateboarden. Oder alleine draussen in der Natur zu schlafen. Dann spüre ich meinen Körper und alle Elemente der Natur.
Alleine und still kann ich auch wild sein
In den vergangenen drei Jahre hatte ich zu diesem Zeitpunkt – Ende Juli – mindestens zwei Woche in der Hängematte verbracht. An Skate-Events, wenn andere in ihren umgebauten Büsslis oder Zelten-Burgen zwischen einer ausufernden Party-Nacht und der nächsten Adrenalin-Abfahrt eine Mütze Schlaf erwischen, lag ich in meiner Hängematte. Corona und ein Unfall haben dieses Jahr diese Art von Abenteuer verhindert. Bis jetzt. Zuerst hörte ich nur die Hängematte und den Sonnenaufgang rufen. Dann die Berge und den Sternenhimmel.
Als erstes zog es mich mich auf den Zürcher Hausberg, den Üetliberg. Nachdem ich in dieser Woche bereits zwei Nächte auf meiner neuen Dachterasse geschlafen und dort den Sonnenaufgang genossen hatte, wollte ich raus, aber richtig. Am Donnerstag Abend um zehn Uhr beschloss ich, mit Hängematte und Schlafsack auf den Üetliberg zu wandern. In eineinhalb Stunden Fussmarsch würde ich von zu Hause aus die Aussichtsterrasse erreichen. Um mich mental und körperlich zusätzlich herauszufordern, legte ich den steinigen, steilen Weg barfuss zurück. Der nächtliche Ausflug auf den Üetliberg war jedoch aus einem anderen Grund eine mentale Herausforderung.
«Was, wenn..?» und andere Mindmonster
Bei der Grillstelle leicht unterhalb Uto-Kulms fand ich zwei geeignete Bäume für meine Hängematte. Von dort aus würde ich das Morgenrot und den Sonnenaufgang geniessen können. Es war nicht das erste Mal, dass ich irgendwo alleine in der Hängematte schlief. Aber selten war ich alleine. Und selten so exponiert. Frühaufstehende Jogger und Biker würden mich vom Weg aus sehen. Wer erschrickt wohl mehr? Sie oder ich? Was, wenn ich sie nicht kommen höre und jemand plötzlich neben mir steht? Die Tiere, die sich irgendwo im Gebüsch lautstark zankten, machten das Ganze nicht besser. Was, wenn nachts ein Reh an mir herumschnüffelt oder ein Fuchs unter der Hängematte durchschleicht und mich streicht? Ich fühlte mich schutzlos und alleine. Ich hatte nicht Angst, von einem Mörder oder einem anderen Irren im Wald überrumpelt zu werden, sondern schlicht und einfach davor, mich zu erschrecken. Gleichzeitig wusste ich: Alles kein Grund zur Sorge, einfach tief ein- und ausatmen. So konnte ich mich eine Nacht lang in Ruhe und Gelassenheit üben. Und nach ein paar wenigen Stunden Schlaf den Sonnenaufgang über Zürich geniessen. Ich war stolz, mich meinen «Mindmonstern» (so nenne ich irrationale Ängste) gestellt zu haben. Der Ausflug hatte sich gelohnt. Eine «wilde» Aktion – und erst das Warm Up. Mein Abenteuer ging sogleich weiter.
Neuer Tag, neuer Berg, neue Challenge
Die richtigen Berge riefen, laut und deutlich. Gleich am Tag nach dem Ausflug auf den Zürcher Hausberg. Trotz vielen Wander-begeisterten Abenteurern in meinem Umfeld, fand ich niemanden, der mich spontan in die Berge begleitete. So hatte ich die Wahl: Mache ich mich von anderen abhängig und gehe nur, wenn jemand mitkommt? Oder ziehe ich mein Ding durch, auch wenn ich am Ende alleine bin? Ich entschied mich für letzteres. Auch hier konnte ich mich nicht mit einer stinknormalen Tageswanderung zufriedengeben. Ich konnte es immer noch kaum glauben, auf welches Abenteuer ich mich eingelassen hatte, als ich mit drei fremden Leuten im Auto nachts um zehn Uhr unterwegs von Davos auf den Flüela-Pass war. Netterweise haben sich mich vom Strassenrand mitgenommen, denn so spät abends fährt kein Postauto mehr auf die Passhöhe von 2100m.
Die Wanderung begann oberhalb der Baumgrenze, deshalb hatte ich die Hängematte gleich zu Hause gelassen. Mit Stirnlampe, Iso-Matte, Schlafsack, vielen warmen Kleidern und etwas Verpflegung machte ich mich auf den Weg. Mein Ziel: das Flüeler Schwarzhorn. Der fast volle Mond liess mich die Umgebung vage erkennen, während meine Stirnlampe jeweils die zwei Meter vor meinen Füssen beleuchtete. (Ich trug ausnahmsweise Schuhe. Muss ja nicht übertreiben und nachts UND alleine UND barfuss wandern. Nächstes Mal dann…). «Hallo Mond, hallo Sterne, hallo Berge, hallo Tiere und Pflanzen», begrüsste ich die Natur um mich herum und tauchte völlig in sie hinein. Ich erzählte dem Mond, wie glücklich und dankbar ich gerade war mit meinem Leben. Und wie stolz ich war, bis hierhin gekommen zu sein. In meinem Leben aber auch heute Nacht, alleine in den Bergen. Schliesslich hatte ich einige mutige Entscheidungen getroffen. Und diese Wanderung stand symbolisch dafür.
Meine Gedanken drifteten ab, während ich im Mondschein weiterging und an Höhe gewann. Plötzlich fiel mir ein Mantra ein, das mir meine Mitbewohnerin vor kurzem auf den Weg gegeben hat. Im Rhythmus meiner Schritte dachte ich die beiden Sätze «I am home» und «I am love». Sie erfüllten mich mit einer inneren Ruhe. Berge bedeuten für mich Familie, nicht nur, weil ich in den Bergen aufgewachsen und mit meiner Familie oft wandern war (beispielsweise in Neuseeland). In den Bergen bekommt mich immer dieses Gefühl von Heimat, von zu Hause sein. Ich war komplett alleine da oben, und doch eins mit der Welt. Ich war «alone», alleine. Ich war «all one», «all eins».
Eine Nacht im «1 Million Sterne Hotel«
Ich fühlte mich getragen von Pacha Mama und gleichzeitig frei wie der Wind. Wie der Wind, der langsam um meine Ohren blies und mir klar machte, dass es an der Zeit war, mein Nachtlager aufzuschlagen. Nach etwa eineinhalb Stunden gemütlichen Wanderns fand ich auf rund 2800m auf einem Schotterfeld etwas abseits des Weges eine flache Stelle, wo ich mein Nachtlager aufschlug. Kaum in den Schlafsack gekrochen, verabschiedete sich der helle Mond hinter einer Bergkette und gab den Blick auf die Sterne frei. Abermillionen von Sternen. Genau über mir die Milchstrasse. Es war nach Mitternacht, also bereits 1. August, Nationalfeiertag. Die Sternschnuppen waren das schönste 1. August-Feuerwerk, das ich je gesehen habe. Ich lag regungslos in meinem kuscheligen Schlafsack. Durch die schmale Öffnung über meinem Gesicht schaute ich staunend ins Universum. Ich fühlte mich wie ein Baby, das im Kinderwagen liegt, nur einen kleinen Ausschnitt des Himmels sieht und staunend in die Welt blickt.
Bereits in vier Stunden würde ich wieder aufstehen, um rechtzeitig zum Sonnenaufgang auf dem Gipfel zu sein. Ich war müde und zur selben Zeit aufgeregt und überwältigt von der Schönheit der Natur. Kurz wurde mir bewusst, was ich da gerade tue – ich liege alleine irgendwo in den Bergen im Schlafsack und schaue in die Sterne – wie crazy. Doch im Vergleich zur Nacht davor, war ich die Ruhe in Person. Da oben gab es weder neugierige Tiere, noch Jogger, noch Fahrradfahrer, die mich (oder ich sie) erschrecken könnten. Okay, vielleicht gab es sie. Doch ich driftete immer wieder ins Universum ab. Ich merkte, wie ich tief in den Bauch atmete, so tief wie schon lange nicht mehr. Ich spürte den kühlen Wind auf meiner Stirn, hörte von weitem einen Bergbach plätschern, sah wieder eine Sternschnuppe. Wünsche fielen mir schon lange keine mehr ein, dazu war ich viel zu glücklich. Bald schon fiel ich in einen tiefen, wenn auch kurzen Schlaf.
Die Ruhe nach dem Sturm
Ich wachte auf, als ich von Weitem Schritte hörte. Ich erschreckte mich nicht, sondern war immer noch tiefenentspannt. Bereits um vier Uhr morgens schritten die ersten Stirnlampen an mir vorbei. Von weitem rief ich ein «Guten Morgen», um meine Anwesenheit anzukünden. Bis ich meine Sachen im Rucksack verstaut hatte, waren bereits zehn Frühaufsteher vor mir auf dem Weg zum Gipfel auf 3145m. Wie sich später herausstellte, waren hinter mir noch 20 weitere. Ja, das Flüeler Schwarzhorn war ein bekannter Gipfel, um bei einem 360 Grad Panorama den Sonnenaufgang zu geniessen. Nach einem intensiven Morgenrot kletterten kurz nach sechs Uhr die ersten Sonnenstrahlen über die Bergkette am Horizont und wärmten mein breit grinsendes Gesicht auf. Es wurde laut und unruhig auf dem Gipfel, einige feierten frühmorgens ihr 1. August-Festli. Und ich sass da, genoss die Stille, die ich noch von der Nacht in mir hatte, und wartete, bis wieder Ruhe einkehrte auf dem Gipfel. Noch ein paar tiefe Atemzüge und dann machte ich mich auf den Rückweg auf den Pass hinunter. Ja, das das war eine verrückte Aktion. Ich war «wild». Und dennoch war ich so gelassen und ruhig, wie schon lange nicht mehr.
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