Eine Woche in Lima «La Gris» und Callao

Barranco Lima Annina Brühwiler

Mein Plan für meine Reise nach Peru war es, keinen Plan zu haben, sondern dorthin zu reisen, wo ich einheimische Longboarder fand. Die ersten Kontakte führten mich nach Lima, einem Hotspot und dem Ursprung der einheimischen Longboard-Szene. Gegensätzlicher hätten meine ersten beiden Unterkünfte bei Skatern nicht sein können. Und die ersten Skate-Sessions nicht staubiger.

«Wusstest du, dass es in Peru über 3000 Sorten Kartoffeln gibt?», war eine Frage, die man mir im Voraus der Reise sowie auch nach meiner Ankunft in Peru mehrmals stellte. Ja, wusste ich, und bald wusste ich noch viel mehr, über Peru, über Lima und über die Longboard-Szene. Ein bisschen mulmig war mir schon bei meiner Ankunft am Flughafen in Lima. Es war abends um acht Uhr und einzig wusste ich, dass in der Ankunftshalle eine junge Frau namens Winny auf mich warten würde, mit der ich bis jetzt nur ein paar Worte auf Facebook gewechselt hatte. Herzlicher hätte die Begrüssung von Winny nicht sein können. Was uns verband: die Leidenschaft für rasend schnelle Abfahrten auf einem Brett mit vier Rollen. Bald sassen wir in einem Taxi nach Callao, nach Hause zu ihrer Familie. 

Winny Flughafen
Das ist selbstverständlich in der Szene: Longboarderin Winny holt mich am Flughafen in Peru ab.

Die Challenge: Weder sie noch ihre Familie sprachen auch nur ein Wort Englisch. Der Spanischkurs, den ich während den drei Monaten vor meiner Abreise besuchte, stellte sich schon am ersten Abend als beste Vorbereitung heraus, meine Italiensich- und Französisch-Kenntnisse halfen enorm bei der Kommunikation. Bei Winny zu Hause wurde ich von ihrer Mutter, ihren zehn Geschwistern und anderen Verwandten begrüsst, die auf engstem Raum und in eher ärmlichen Verhältnissen zusammenwohnten. Wer Limas nördliche Nachbarstadt Callao kennt, weiss, dass es dort eher mafiös als touristisch zu und her geht. Die Regeln für mich als Gringa aka. Weisse waren schnell klar: Nur in Begleitung einer einheimischen Person aus dem Haus, möglichst keine Wertsachen wie Fotoapparat oder Handy mitnehmen, im Taxi die Türen von innen verschliessen und möglichst schnell raus aus der Gegend. 

Tür Winny
Das geschulte Auge erkennt schnell, dass hinter dieser Türe eine Longboarderin wohnt.

Lima mit den Locals

Zum Beispiel nach Miraflores, das moderne und recht touristische Stadtviertel Limas am Malécon, dem Park an der Klippe. Von dort aus hat man eine super Sicht aufs Meer, auf die Surfer und an manchen Tagen sogar auf Delfine. In Miraflores kam ich ebenfalls ein paar Tage unter, natürlich bei einem Longboarder und seiner Familie. Im November ist das Wetter in Lima angenehm warm, jedoch hängt hoch über den Wellbläch-Dächern und Wolkenkrazern eine ähnlich graue Suppe wie zu Hause in Zürich. Die Stadt machte in diesen Tagen ihrem Übernamen «Lima la gris» alle Ehre. Das tat der Stimmung jedoch keinen Abbruch, schon gar nicht jener der einheimischen Skatern.

Küste Lima
Unterhalb des Malécons führt der Highway der Küste Limas entlang.
Strasse Lima
Moderne und traditionelle Transportmittel teilen sich die Strassen von Lima.

Auf sozialen Medien hatte ich bereits vor meiner Abreise verschiedenste Kontakte geknüpft und die Community konnte es kaum erwarten, die abenteuerlustige Longboarderin aus der Schweiz in ihrer Heimat zu begrüssen und sie in ihre Kultur einzuführen. «Arroz con Leche y Moras» (Milchreis mit einer Beeren-Sauce), das obligate Touristen-Foto auf der «Plaza de armas», mit dem holprigen und lauten Micro-Bus herumreisen und dann endlich die ersten Skate Spots unsicher machen.

Ein beliebter Spot, weil 100% autofrei, ist das «Valle Hermoso» in Lima. Autofrei bedeutet leider auch, dass man selbst wieder hochlaufen muss.

Im «Valle Hermoso» im Osten von Lima wird auf einer Sanddüne gerade ein Villen-Viertel aus dem Boden gestampft. Die Strasse steht bereits, die Häuser jedoch nur im unteren Bereich, weshalb die obersten paar Kurven autofrei sind. Entsprechend müssen nach jeder Abfahrt wieder 485 Treppenstufen erklommen werden. Etwas befremdlich war für mich die Tatsache, dass hier unter hohem Wasserverbrauch eine Sanddüne begrünt wird, während in Callao ab zehn Uhr nachts das Wasser abgestellt wird. Die Gegensätze zwischen arm und wohlhabend sind gross. 

Crew Lima
Ein fast gewöhnlicher Samstag Nachmittag: Die Szene in Lima ist gross. Bild: Daniel Saenz.

Die Polizei, dein Freund und Helfer

Noch mehr neue Eindrücke gab es am nächsten Tag zu verarbeiten. Zwei Stunden nördlich von Lima (zwei Stunden im Micro-Bus sind verdammt lang), in der Nähe von Santa Rosa, gibt es die Spots «Profam» und «Bahia». Zwei übersichtliche Strassen schlängeln sich zwischen Sanddünen in Richtung Meer hinab. Die Nachricht, dass an diesem Sonntag eine «Chica Suiza» dabei sein würde, hat die Runde gemacht und entsprechend gross war die Gruppe an diesem Tag. Über 20 Skater trafen sich an diesen Orten, wo bereits einheimische Meisterschaften stattgefunden hatten. In kleineren und grösseren Gruppen rasten wir in gebückter Haltung die Strassen hinab. 

Photo: Daniel Saenz

Wer zu spät oder unkontrolliert bremste, landete im Sand und war bald eingepudert. Wieder hoch geht es entweder zu Fuss oder man hängte sich an einem vorbeifahrenden Fahrzeug an. Die Auswahl reichte von dreirädrigen Motor-Taxis über Mini-Transporter und normale Autos bis zu einem Polizei-Pickup. Longboarden auf offener Strasse ist in Peru erlaubt, zumal es keine Gesetze dazu gibt. «Die Leute, die Strassengesetze machen, können sich ja gar nicht vorstellen, dass da ein paar crazy Leute mit dem Rollbrett den Berg runterfahren», wurde mir erklärt. Und bis anhin hätten die Behörden keinen Handlungsbedarf gesehen. Umso besser für uns.

Rafael Cieza
Rafael Cieza, ein Urgestein der peruanischen Longbaordszene, organisiert heutzutage Events für die nächste Generation.

Longboardszene in Peru

Meine Reise führte mich nach Peru, weil ich Anfang Jahr bei einem Wettbewerb für Reisereportagen eine Idee eingereicht hatte, in der ich die Longboardszenen in Peru und Bolivien portraitieren wollte. Nicht irgendwelche touristischen Hotspots sollten meine Reise bestimmen, sondern die besten Skate-Spots und die einheimische Community. Die Anden sind berühmt für endlose Abfahrten und grosse Adrenalinkicks, so pickte ich zwei Länder auf der Landkarte heraus, in denen die Anden liegen. Hier war ich also, in Lima, einem dieser Hotspots. Neben meinem journalistischen Auftrag (der Artikel erscheint am 12. Januar in der Sonntagszeitung) war ich auch persönlich sehr neugierig, was die Entstehung der Szene in Peru betrifft. Fragte ich unter den Leuten nach einem Pionier, wurde immer wieder derselbe Name genannt: Rafael Cieza

Profam
«Taxi» beim Skatespot Profam, im Norgen Limas, wo schon einige Events und Rennen stattgefunden haben.

Auf Facebook, wo die Longboarder sich weltweit vernetzen und die neusten waghalsigen Abfahrten mit der Community teilen, fand ich ihn schnell. Zweidrei Nachrichten später sass ich bei Cieza im Wohnzimmer und hörte ihm gespannt zu, wie er, heute 56 Jahre alt, in den 80er Jahren als Streetskater und Surfer in Amerika lebte. Schon damals gab es eine Art «Downhill Skateboarding», bei dem mit dem normalen Streetskateboard steile Strassen heruntergefahren wurden – ohne Schutzausrüstung und auf dem lotternden Skateboard. Als in den 90er Jahren die ersten Longboards aufkamen, war er einer der ersten, der das neue Sportgerät nach Peru brachte. Fragt man ihn nach dem Reiz von Downhill Skateboard kommt dieselbe Antwort wie von den meisten Downhillern: «Freiheit und Adrenalin». Heute gehört Cieza zu den ältesten aktiven Longboardern in Peru, organisiert Events und gibt sein Wissen und seine Leidenschaft an die nächste Generation weiter. Oder wartet vor der Küste Limas auf die nächste surfbare Welle.

Die «Blume des Lebens» ist eines der zahlreichen Graffitis im Bezirk Barranco, dem Hipsterviertel in Lima.

Danke an @longboardgirlscrewperu, @girlsonwheels, @burrazocrew, @longesteperu, @ufodh und allen anderen für die tolle Zeit in Lima! 💙