#2 Lombok Skate Trip 18: Andere Länder, andere Sitten

Kulturwechsel Bild

Longboarden ist mehr als ein Sport. Longboarden baut Brücken zwischen Kulturen. Jeder und jede ist in der Community willkommen. Insbesondere auf der indonesischen Insel Lombok. Dort gibt es eine Skate Crew, die jeden Tag unvergesslich macht – selbst wenn mal ein Tag kein Longboarden angesagt ist.

Transport
Bis zu vier Skater können mit einem Roller wieder den Berg hochgebracht werden. Photo by @victographica @ismarabdulnovan_

Ich bin nicht zum ersten Mal in Lombok. Es ist bestimmt auch nicht das letzte Mal. Das weiss ich bereits vor meiner Ankunft in Lombok. Die Vorfreude, mit der einheimischen Skate Crew die indonesische Insel unsicher zu machen, ist riesig. Während einer Woche sind wir gemeinsam in Lombok unterwegs und skaten an verschiedenen Spots. #lombokskatetripvol3 heisst der Event. Auf die Teilnehmenden warten mehr als schmale Strassen im Linksverkehr, die Aussicht auf menschenleere Strände und Schwitzen in der Mittagssonne. Die Sportart ermöglicht den Zugang zu einer Kultur, die einem als Otto-Normal-Tourist so nicht zugänglich ist.

Chillen
Ohne Indonesischkenntnisse kommt man ausserhalb der Touristenorte nicht weit. Photo by @victographica @ismarabdulnovan_

Zwischen Adrenalin und Gottesehrfurcht

Eines Mittags kommen wir nach eineinhalbstündiger Fahrt beim Spot an, die Sonne brennt hinunter. „Wir müssen noch warten mit Skaten“, war Ozzies Kommentar, als wir aussteigen. Ozzie ist der Longboar-Pionier der Insel und Tätschmeister des Events. Logisch, denke ich, in der Hitze will doch niemand skaten. Doch das ist nicht der Grund. „Einige der Jungs sind noch am Beten“, ist die Erklärung. Die meisten der indonesischen Skater sind Muslime, teils gewissenhaftere, teils weniger. So werden wir Westliche mit einer Religion und Kultur vertraut, in der sich die Skater beispielsweise vor dem Essen oder während einer Skate Session kurz verabschieden, die Skate-Klamotten gegen einen Sarong (Wickelrock) eintauschen, sich die Füsse und Hände waschen und im Unterstand eines nahegelegenen Häuschens zum Gebet niederknien. Mich erstaunt, mit welcher Selbstverständlichkeit die Anwohner ihnen Kleidung und Gebetsplatz zur Verfügung stellen. Weniger erstaunt bin ich von den gross aufgerissenen Augen und filmenden Handykameras der Kinder, Hausfrauen und Arbeitern, vor deren Haustüre wir skaten und ihnen während eines Nachmittags ein unvergessliches Spektakel liefern. Mittlerweile weiss ich, dass die Bewohner in ländlichen Gebieten eher ein Smartphone als eine Toilette besitzen. Einige davon sehen vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben eine weisse Person. Dass diese zu allem noch eine skatende Frau ist, wird manchem Zuschauer in Erinnerung bleiben.

Bild mit Zusschauern
Während einer Pause drückt mir jemand eine junge Katze in die Hand. Danach gibt’s Selfies. Photo by @victographica @ismarabdulnovan_

In solchen Momenten kommt mir zugute, dass ich bereits einige Brocken Indonesisch sprechen kann. Denn ausserhalb des Touristen-Ortes Senggigi, wo auch unsere Home Base und Ozzies Häuschen ist, kommt man mit Englisch nicht weit. Mit wenigen Worten kann ich gleich eine Beziehung herstellen, mit Sympathie punkten und bald gemeinsam mit meinem Gegenüber in die Selfiekamera des Handys strahlen. Weiter hilft mir mein Indonesisch, in einem Dörfchen in der Pampa nach Früchten zu Fragen und über den Preis zu verhandeln. Während die Einheimischen kein Problem damit haben, dreimal täglich Reis mit Irgendwas zu essen, sehne ich mich nach einer frischen Ananas, Drachen- oder anderen exotischen Frucht. Ich komme wohl selten an günstigere und leckerere Früchte als dort. Dann möchte ich auch davon profitieren.

Wasserfall
Eines der Highlighs am diesjährigen Skate Trip: der Ausflug zum Wasserfall Sendang Gile in Senaru. Photo by @ozzie7anwar

Auch Frauen fahren Longboard

Mehrmals habe ich oben von „den Jungs“ gesprochen. In der Tat kommt auf die gut 20 einheimischen Skater nur eine einzige Frau. Ocha, so heisst sie, wohnt und skatet sonst in Bandung unweit der indonesischen Hauptstadt Jakarta und ist bereits zum dritten Mal am Trip dabei. Auch in ihrer Heimatstadt ist sie die einzige Frau, die Downhill Longboard fährt. Ihre gut zehn Longboard-Freundinnen bevorzugen das Longboard Dancen – ebenso wie die Hand voll Frauen in Lombok, die sich auf die rollenden Bretter wagen. Beim Dancen geht es mehr um Tricks wie Schrittabfolgen oder Pirouetten auf dem Brett, als um Tempo und Sliden. Das Schöne, und das erlebe ich immer wieder beim Longboarden, egal ob in Indonesien, in der Schweiz oder sonst wo, ist: Alle sind willkommen, alle gehören dazu. Egal welches Alter, Geschlecht, Level, Religion, Kultur, Sprache, Hautfarbe oder Lieblingsessen – alle gehören zur Longboard Family, weil uns diese Sportart verbindet und so Brücken baut und unvergessliche Momente und Erlebnisse ermöglicht. Auf und neben dem Board. Denn ein Highlight des diesjährigen Skate Trips ist der Skate-Day-Off, an dem wir alle zusammen einen Ausflug zum Wasserfall Sendang Gile unternehmen. Gemeinsam klettern wir in Einerkolonne über Stock und Stein, waten durchs Knietiefe Wasser und singen Hits aus den Radiocharts, bis wir endlich beim Wasserfall ankommen und im Wasser plantschen. Was nie fehlen darf: ein weiteres Foto fürs Familienalbum resp. für Facebook und Instagram.

Frauenpower am Lombok Skate Trip
3 Frauen von 3 Kontinenten: Ocha (links) ist die einzige indonesische Frau am Skate Trip, Emma (rechts) kommt aus Kanada. Photo by @victographica @ismarabdulnovan_

Skate-Ausrüstung: Sharing is Caring

Der grösste Teil der Skate-Ausrüstung der Crew ist second hand, geerbt von einem Longboarder, den sie zu den verschiedenen Spots auf der Insel geführt haben, oder von Spenden aus Europa. Ich erkenne meine Handschuhe wieder, die ich am letztjährigen Skatetrip einem Longboarder geschenkt habe, der noch zur Schule geht. Wie sollen sich die Indonesier denn beispielsweise Rollen oder Handschuhe für 70 Dollar kaufen, wenn ihr monatliches Einkommen 100 Dollar beträgt? Doch die Skater beklagen sich nicht. Sie benützen das Equipment, bis es komplett auseinanderfällt. Sie tauschen Handschuhe, Helme, Rollen und anderes Skate-Zubehör untereinander aus. Wenn jemand neue Rollen bekommt, verschenkt er seine alten. Dieses Mal bin ich vorbereitet auf die einheimischen Verhältnisse und habe in meinem Umfeld nach Skate-Material gefragt. So kamen zwei komplette Longboards, mehrere Sätze Rollen, Slide Pucks, Bremssohlen, Kugellager und Achsen zusammen, die in Lombok einen neuen Besitzer finden. So komme ich im wahrsten Sinne des Wortes sehr erleichtert wieder nach Hause. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an alle, die mir etwas mitgegeben haben. Falls jemand noch etwas in der Skate-Kiste/Tasche hast, das nicht mehr gebraucht wird, nehme ich das gerne bei meiner nächsten Reise nach Indonesien mit.

Sei dabei am #lombokskatetrip19

Bünzlischweizer (oder vergleichbare Spezies anderer Länder), die einen hohen Wert auf Pünktlichkeit und Organisation legen und mit Chaos nicht umgehen können, sind am Lombok Skate Trip wohl fehl am Platz. Allen anderen kann ich den Lombok Skate Trip 2019 nur empfehlen. Spätestens am dritten Tag sind alle im „Treffpunkt- um-9-Uhr-heisst-Abfahrt-um-11-Uhr-Modus“ angekommen und können das unorganisiert wirkende Spektakel mit Gelassenheit betrachten. Ich verspreche, die Crew, allen voraus die Skater Enok und Dayat, sorgen für beste Unterhaltung.
Selten habe ich solch herzliche und hilfsbereite Leute getroffen, wie die Skate Crews in Indonesien, insbesondere in Lombok. Ich kann den Kulturaustausch und das Reisen im Rahmen von gemeinsamen Skate-Trips nur weiterempfehlen und hoffe, im 2019 ein paar weisse (vielleicht dann auch rote) Gesichter zu sehen. Und wer nicht bis zum nächsten Trip waren will, der kann sich jederzeit bei den Lombok Longboard Riders melden.

Im ersten Teil des Blogs erzähle ich mehr über die Skate Spots in Lombok. Und über die Übernachtungsmöglichkeiten in Hängematten neben der Skate Bowl.

Transport
Robin aus Deutschland und ich als Schweizerin machen die Hälfte der internationalen Teilnehmer aus. Photo by @victographica @ismarabdulnovan_